Die schwere Mission der Kirsty Coventry

Analyse: Weitreichende Reformen und der Umgang mit den zunehmend autokratischen Staaten von Amerika im Vorfeld Olympias 2028 – auf die erste Frau an der IOC-Spitze warten viele Herausforderungen. Unsere Chefredaktion beleuchtet die Nachrichtenlage.

Die Bilder von der symbolischen Schlüsselübergabe durch Thomas Bach an seine Nachfolgerin waren noch frisch. Die in vielen Redaktionen mit peinlicher Berührung und stillem Kopfschütteln vernommenen Elogen Michael Vespers, des ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Olympischen Sportbundes und Weggefährten Bachs, auf den aus dem Amt geschiedenen Chef des Olympischen Sports noch in manchem Email-Speicher. Da machte sich die neue Präsidentin des Internationalen Olympischen Komitees bereits daran, erste Akzente zu setzen. Weitreichende Akzente womöglich. Die erste IOC-Präsidentin jedenfalls machte schnell klar, dass sie nicht vorhat, sich an diesem historischen Meilenstein – die erste Frau auf dem Chefposten in der Zentrale des Weltsports in Lausanne zu sein – lange aufzuhalten.         

Kirsty Coventry hat bereits nach drei Tagen eine Reform bei der Vergabe Olympischer Spiele in Aussicht gestellt. „Die Mitglieder wollen stärker einbezogen werden“, sagte die frühere Sportministerin Simbabwes auf der Pressekonferenz nach einem Meeting des IOC-Exekutivkomitees in Lausanne. „Pause-and-Reflect“-Sitzungen hatte Coventry diese Treffen genannt. Ein gemeinsames Innehalten. „Thinktanks“ nennt man das im Manager-Vokabular. Wie dem auch sei, das Ergebnis lautete:  Vergabeprozess und Zeitpunkt der Vergabe der Olympischen und Paralympischen Spiele sollten überdacht werden. Obendrein solle, so umschrieb Coventry die überwiegende Meinung der Exekutiven, das IOC „eine Führungsrolle“ zur Konsensfindung bei der Regelung „zum Schutz der weiblichen Kategorie“ übernehmen.

Newly elected President of the International Olympic Committee (IOC) Kirsty Coventry attends her first Executive Board meeting at the Olympic House in Lausanne, Switzerland, June 25, 2025. REUTERS/Denis Balibouse
Kirsty Coventry bei Ihrer Teilnahme am Executive Board am 25. Juni 2025; Bildnachweis: picture alliance / REUTERS | Denis Balibouse

Mehr Einfluss des IOC auf die Geschlechterfrage

Vorgänger Bach, mittlerweile IOC-Ehrenpräsident, hatte es nach langem Hin- und Her den internationalen Verbänden überlassen, welche Regeln im Umgang mit Sportlerinnen mit Besonderheiten in der Geschlechtsentwicklung und mit transsexuellen Sportlerinnen und Sportlern gelten sollen. Einer Mitverantwortung aber will sich das Coventry-IOC nun nicht mehr entziehen.

Mischt Kirsty Coventry etwa den Laden – Bachs IOC – auf? Dessen Praxis, Olympia-Bewerber aufgrund abnehmender Kandidaturen, vor allem für die Ausrichtung im Winter, gezielt zu adressieren, war bekanntermaßen umstritten – aber wirtschaftlich effizient, insbesondere mit Blick auf die Existenzsicherung der Winterspiele. Im Umkehrschluss aber hatte das Procedere nur noch entfernt etwas mit einem demokratischen Wahlvorgang unter dem Dach des IOC zu tun. Dessen Mitglieder konnten zunehmend häufig nur noch durchwinken, wen Bach an den Start gebracht hatte, noch dazu – so einer der Generalvorwürfe an den Deutschen während seiner Amtszeit – am liebsten hinter verschlossener Tür. Im kleinstmöglichen Kreis. So bekam Los Angeles die Spiele 2028 schon 2017 und Brisbane die Spiele 2032 bereits im Jahr 2021 übertragen – also elf statt wie früher üblich sieben Jahre im Voraus. 

Wie reagieren die Bewerber-Kandidaten auf Reformen? 

Sollte die neue IOC-Präsidentin die Zyklen nun signifikant verändern, sprich: kürzen, dürften die Interessenten Indien und Qatar, aber auch die deutschen Bewerberkandidaten aufhorchen. Es dürfte unruhig werden rund ums IOC. Ob Coventry die Reihen schließen und in der Folge geschlossen halten kann, muss sich zeigen. Ebenso, wie es um die Visionen der 41 Jahre alten ‚Pionierin‘ bestellt sein wird – denn eine Pionierin ist Coventry als erste Frau sowie als erste Funktionärin des afrikanischen Kontinents im Amt in doppelter Hinsicht. 

In Paris waren das IOC und Thomas Bach schwer kritisiert worden, weil sie die Boxerinnen Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu-ting aus Taiwan Olympiasiegerinnen werden ließen, obwohl beide zuvor vom Weltverband IBA, der vom IOC nicht mehr anerkannt wird, nach nicht näher erklärten Geschlechtertests ausgeschlossen worden waren. World Boxing, der neue Dachverband des olympischen Boxens, hatte zuletzt allerdings beschlossen, künftig Geschlechtstests durchzuführen. Diese Ankündigungen waren wohl eine Reaktion auf die Visa-Botschaften von US-Präsident Donald Trump mit Blick auf die Spiele von L.A., beim geringsten Zweifel eben keine Einreisegenehmigungen mehr für „betrügerische Männer“ zu erteilen. 

Coventrys IOC, Trumps USA und die Spiele von Los Angeles: Hand in Hand? 

Überhaupt: Olympische Spiele in den Vereinigten Staaten Trumps. Hatten noch vor drei, vier Jahren Sportmarketing-Experten, Sponsoring-Beratungsagenturen und auch die Medien aufgeatmet, die Zeit moralisch heikler Rechteverhandlungen und Werbedeals hätten nach den Fußball-Weltmeisterschaften in despotisch regierten Ländern wie Russland und Qatar sowie den Olympischen Winterspielen in Peking ja ein Ende, Image-Kampagnen rund um die Mega-Sportevents würden fortan aufgrund der Vergabe an demokratische Orte (Paris, Los Angeles, Mailand/Cortina und die Fußball-WM in den Staaten, Kanada und Mexiko) wieder einfacher, stellen sich nun viele Player die bange Frage: Wie demokratisch sind die USA zum Zeitpunkt der Fußball-WM 2026 und der Sommerspiele von Los Angeles 2028 überhaupt noch? Und wer wird vom Bannstrahl beim Versuch der Einreise betroffen sein? Frag nach beim senegalesischen Basketball-Nationalteam, dessen Spielerinnen jüngst ein Trainingslager in den Staaten aufgrund verweigerter Einreisegenehmigungen absagen musste. 

FIFA-Boss Giani Infantino wird vermutlich nicht besonders unruhig werden, wenn er an die Beziehungen des Fußballweltverbands mit dem US-Regime denkt. Kirsty Coventry indes dürfte sich längst mit der Frage beschäftigen, welchen Ton das IOC der Trump-Administration gegenüber anschlagen soll – und sich eine Strategie zurechtlegen, wie neuerlich drohenden Imageschäden ihrer Sponsoring-Partner entgegengewirkt werden könnte. Sie hat zwar den von Thomas Bach gereichten Schlüssel dankend angenommen. Dessen Gepflogenheiten aber muss sie sich deshalb noch lange nicht angeeignet haben.